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Fazit 2010 PDF Drucken E-Mail
2010-09-24_walsrode_medienforum 081Mit der Frage, ob man für jede (Dokumentarfilm) Produktion eigentlich das Fernsehen braucht oder ob es nicht auch mehr Produktionen jenseits des TV geben sollte, wurde eine lebhafte dreitägige Debatte um Formate, Anforderungen der Fernsehsender und Positionen der Produzenten und Autoren beim ersten Film und Medienforum Niedersachsen in Walsrode am 26. September 2010 beendet. Die sonntägliche Matinee um Heimat und Globalisierung im Capitol Theater hatte sich bald zu einer Abschlussdiskussion der Tagung entwickelt, in deren Rahmen viele Beispiele angesprochen wurden, die es beim formatierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen eher schwer haben. Thematisiert wurden Projekte, die entweder nach Beendigung ein Eigenleben entwickeln – wie der inzwischen 20 Jahre alte „Schnaps im Wasserkessel“ (Hans Erich Viet), der es schwer hatte, vom Sender akzeptiert zu werden, und inzwischen eine Art ostfriesischen Kultstatus entwickelt hat. Oder Filme wie „Adopted“ (Regie: Rouven Rech und Gudrun F. Widlok), die selbst eine Weiterentwicklung eines langjährigen Kunstprojektes sind. Das Leben eines Dokumentarfilms hört eben nicht unbedingt mit der Ausstrahlung oder der Festivalaufführung auf; und kann auch viel früher anfangen als mit der Filmidee. Tags zuvor war „Adopted“ eines der Beispiele, die als neue, andere Formate in der Debatte „Kreativität, Regionalität, Formate“ vorgestellt wurden. Unter Moderation von Hans Jürgen Börner standen weiterhin Michael Heuers „Tod auf dem Hochsitz“, Nils Loofs „Puppenjungs“ und Ali Samadis- Ahadis „The Green Wave“ im Focus. Alles Projekte, die eigene, und für heutige Verhältnisse ungewohnte Ansätze verfolgen, sei es in der Gestaltung, in der Musik oder in der Dramaturgie.

Sendeplätze

Anschließend stellte Dirk Neuhoff, Leiter der Abteilung Dokumentation & Reportage des NDR die Sendeplätze des NDR für Dokumentarfilm und Dokumentation vor. Als Beispiele wurden Großprojekte wie „Die Kinder von Blankenese“ oder das filmische Portrait Ernst Reuters genannt. Viele der in 2010 gesendeten Dokumentationen des NDR greifen aktuelle Themen auf oder beleuchten historische Ereignisse. Dass dabei (re)inszeniert wird, gehört inzwischen zu den Selbstverständlichkeiten. Allerdings gab es dazu durchaus auch kritische Anmerkungen.

Die ARTE-Programmschemata stellte NDR-Redakteurin Ulrike Schäfer vor. Es vermittelte sich eine formal vielfältige, aber auch verschachtelte Sendeplatzphilosophie des Straßburger Senders. Der Anteil des NDR am ARTE-Gesamtprogramm betrage, so Schäfer, 5% des 20%igen ARDAnteils, das sind immerhin erstaunliche 100 Beiträge im laufenden Jahr. Trotzdem: Den Öffentlich-rechtlichen eigen ist die anhaltende Tendenz, Programmplätze für anspruchsvollere, kreative Produktionen immer weiter in die Nacht zu verschieben und diese in so genannten Nischen zu verstecken.

2010-09-24_walsrode_medienforum 098Das wird umso unverständlicher, wenn man bei der Präsentation der Programmrichtlinien durch Marco Otto, Programmdirektion Fernsehen des NDR,.erfährt, dass einer der Hauptziele des Senders die Wieder(!) Eroberung des 50- bis 60-jährigen Publikums ist. Wenn man für diese Zielgruppe gemeinhin annimmt, dass sie nicht zu später Nachtzeit TV sieht, so ist das weitere Verstecken kreativer Filme auf späten Programmplätzen gewissermaßen eine Vorverurteilung der Hauptzielgruppe. Ich bin mir sicher, sie würde gerade durch solche Filme wie sie auf dem Walsroder Forum präsentiert worden sind, zurückerobert werden. Das belegt auch die ständig steigende Kinonutzung dieser Altersgruppe in den so genannten Programmkinos. Etwas blass blieb die kritische Würdigung der Programmrichtlinien durch die Podiumsteilnehmer. Da dies auch durch das Publikum nur ansatzweise geschah, entstand fast der Eindruck, es wäre alles bestens. Hier bestünde sicherlich noch Nachholbedarf in der Diskussion.

Fernsehen und Filmförderung

Die Schnittstelle TV/Filmförderung wurde durch Dirk Neuhoff mit der Betonung der durch nordmedia geförderten NDR-Dokumentationen angesprochen. Tags zuvor war dies auch Bestandteil der Runde zur Filmförderung in Niedersachsen und Bremen. Ein klassisches, fast historisches Diskussionsthema ist die Rolle des NDR dabei ebenso wie die Einflussnahmeversuche der politischen Exekutive, die es immer wieder in der Forderung nach diesen oder jenen Veränderungen gegeben hat.

Die Diskrepanz zwischen der so genannten kulturellen Filmförderung wie sie das Filmbüro Bremen, das damit große Erfolge aufweisen kann, verantwortet, steht da gegen oder besser parallel zu der vorwiegend wirtschaftlich orientierten großen nordmedia, deren kultureller Aspekt etwas abhanden gekommen scheint, betonten einige Teilnehmer. Trotzdem: Alles ist im Wandel, so auch hier und man weiß nicht, wie die Situation sich in 10 Jahren verändert haben wird. Ob sich die großen Sender mit Tausenden Mitarbeitern mit all ihrer Bürokratie dann allerdings ähnlich wie die DDR (oder die FDP) als ein fragiles zerbrechliches Kartenhaus erweisen und zusammenfallen werden, wie ein Podiumsteilnehmer prognostizierte, sei mal dahin gestellt.

Beim Thema Filmbildung in Niedersachsen erstaunte die große Anzahl der Institutionen, die in Walsrode vertreten waren und die belegen, dass Niedersachsen auf diesem Feld eine Vorreiterrolle spielt. Auch hier stellt sich aber abschließend die Frage, inwieweit diese einzelnen Projekte in der Tat nur Projekte sind, die jederzeit wieder eingestellt werden können, oder aber wie sie nachhaltig auch in der Kooperation untereinander gesichert werden können. Besonders an zukünftige Studenten richtete sich zu Beginn der Tagung eine Veranstaltung, bei der die wichtigsten Film und Medienstudiengänge in Niedersachsen von Hochschulvertretern aus Hannover, Braunschweig und Göttingen vorgestellt wurden.

„Neue norddeutsche Heimatfilme“
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Im Capitol liefen an beiden Abenden Filmprogramme unter dem Motto „Neue norddeutsche Heimatfilme“. Zahlreiche Gäste waren dazu nach Walsrode angereist, in erster Linie die Regisseure fast aller vorgestellten 13 Filmproduktionen. Im Anschluss an den Eröffnungsfilm kam es zwischen Thomas Schäffer von der nordmedia und Regisseur Ali Samadi-Ahadi zu einem anregenden und unterhaltsamen Gespräch über seinen Film „Salami Aleikum“. Zur Premiere von „Kai des Aufbruchs“ (Regie: Brigitte Krause) war eine der Protagonistinnen, die heute in Texas lebt, ins Capitol gekommen. Mit ihr, dem Produzenten und der Regisseurin wurde auf die erste Aufführung des Films angestoßen, der in liebevollen Bildern und Tönen den Übersee- und Auswandererbahnhof Steubenhöft in Cuxhaven portraitiert und von der Sehnsucht nach Amerika erzählt: Fallado, das Wunderland!

Insgesamt eine gelungene Premiere des 1. Film und Medienforums Niedersachsen, das mehr als 30 Referenten und Podiumsteilnehmer, Autoren, Filmemacher, Medienpolitiker, Filmförderer, Produzenten und Redakteure ins Landhaus Walsrode und ins Capitol Theater gebracht hat. In den zahlreichen Gesprächen wurde der Wunsch nach einer Fortsetzung des Forums im nächsten Jahr deutlich. Erste diesbezügliche Anfragen bei der nordmedia und der Staatskanzlei sind ermutigend. Deshalb ist ein 2. Film- und Medienforum Niedersachsen, diesmal voraussichtlich Ende September 2011 in Lüneburg in Planung, um die Nachhaltigkeit dieser Veranstaltung zu sichern.

Jörg Witte

Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 26. September 2013 um 11:39 Uhr